Im medizinischen Bereich unterscheidet man zwischen einer ambulanten und einer stationären Behandlung. Ambulant bedeutet, dass der Patient weder die Nacht vor noch die Nacht nach der jeweiligen Behandlung im Krankenhaus verbringt. Und auch im BDSM-Bereich werden immer häufiger Spielpartner vorrangig „ambulant“ behandelt. Warum ist das so?
Hattet ihr schon einmal eine spannende BDSM-Session? Vermutlich war diese so schön, dass ihr euch gewünscht habt, dass es noch länger so weitergehen könnte. Doch das ist nicht immer so einfach. Manchmal ist das auch vom Gastgeber nicht gewünscht. Die Gründe können unterschiedlich sein.
Die BDSM-Session
Vor einer Session gibt es einiges vorzubereiten. Man bereitet ggf. einen Raum (das Spielzimmer) vor und natürlich sich selbst. Wenn der Gast eintrifft, dann gibt man sich große Mühe, dass man selbst und auch der Gast voll auf seine Kosten kommt. In einigen Fällen ist nach dem sexuellen Höhepunkt die Luft raus und irgendwann holt einen der Alltag wieder ein. Man muss aufräumen, sich um den Haushalt kümmern und der beruflichen Tätigkeit nachgehen. Bei diesen Dingen gibt es nicht immer einen Platz für einen Spielpartner. Sollte es sich um einen unterwürfigen Partner handeln, kann dieser sich um den Wohnungsputz kümmern. Irgendwann ist jedoch der Punkt erreicht, an dem man einfach nur seine Ruhe haben möchte.
Ruhe nach dem Sturm
Eine BDSM-Session kann für den Körper und den Geist eine Grenzerfahrung sein. Es passieren Dinge, die im normalen Alltag vermutlich eher selten Einzug finden. Die Spielpartner auf beiden Seiten (devot und dominant) zeigen sich von ihrer besten Seite. Man kann also unterm Strich sagen, dass es durchaus anstrengend sein kann. Doch diese Anstrengung kann man im Normalfall nicht über einen längeren Zeitraum aushalten. Und nach der Session braucht man wieder etwas Ruhe und widmet sich dem Alltag.
Der Alltag
Im Alltag angekommen ist für die meisten Personen der Blick auf das Smartphone die erste Amtshandlung. Was hat man denn verpasst, während man in einer Session versunken war? Hat jemand geschrieben oder angerufen? Habe ich neue E-Mails? Wo ist mein Paket gerade, auf welches ich warte? Und was gibt es Neues in den sozialen Netzwerken? Fragen über Fragen, doch dabei möchte man ungestört sein. Da ist ein Spielpartner, der möglicherweise noch nicht genug hat und gern eine weitere Spielrunde hätte, ein Störfaktor. Also entledigt man sich dieser Last, in dem man den Spielpartner nach der Session verabschiedet.
Der feste Partner
Wenn man eine Session mit seinem festen Partner (ggf. sogar Ehepartner) macht, dann kann man diesen natürlich nicht einfach nach einer Session vor die Türe setzen. Doch es pendelt sich nach dem gemeinsamen Abenteuer der Alltag ein und man entfernt sich vom abenteuerlichen „Sex-Modus“. Wenn es sich um eine hierarchische Beziehung handelt, so kann man manche BDSM-Elemente auch im Alltag einbauen. Doch auch dies kostet Kraft und erfordert eine Konsequenz beider Partnern.
Sehnsucht und Schattenseite
Man muss zwischen den verschiedenen Beziehungen unterscheiden. Während eine „normale§ Beziehung auf Augenhöhe stattfindet, so gibt es bei den meisten BDSM-Beziehungen eine Hierarchie. Doch diese Hierarchie auch im Alltag und der Öffentlichkeit auszuleben, benötigt Mut und Kraft. Da dieser Lebensstil immer noch von vielen BDSM-Liebhabern heimlich und unentdeckt ausgelebt wird, könnte das Ausleben in der Öffentlichkeit ein ungewolltes Outing darstellen. Da ist es dann doch einfacher seine Vorliebe hinter verschlossener Türe mit dem Spielpartner auszuleben und beim Verlassen wieder die alltagstaugliche Verkleidung anzuziehen. Auf der einen Seite sehnen sich viele Personen danach auch außerhalb einer Session diese Vorlieben im Alltag (wenn auch eingeschränkt) ausleben zu können, doch die Angst vor Ablehnung ist immer noch groß.
Irrglaube
Ein weit verbreiteter Irrglaube über BDSM-Beziehungen ist, dass diese einer permanenten BDSM-Session gleicht. Das ist einfach falsch. Wir möchten an dieser Stelle nicht bestreiten, dass die Vorstellung einer fortwährenden BDSM-Session ihren Reiz hat. Die Realität sieht anders aus. Eine Beziehung außerhalb von BDSM und Fetischen besteht auch nicht aus Dauersex. Dennoch werden BDSM-Beziehungen in der Regel „intensiver“ wahrgenommen, sowohl von den Partnern selbst als auch vom sozialen Umfeld. Das Auftreten kann durchaus als selbstbewusst gesehen werden. Personen, die ihren Fetisch in der Öffentlichkeit ausleben, gelten in vielen unwissenden Augen als abnorm oder arrogant. Dabei sollte dieses Selbstbewusstsein in den wenigsten Fällen mit Arroganz zu tun haben. Viel mehr Lebensfreude und vielleicht auch eine Einladung an alle anderen Mitmenschen, ihre Wünsche und Sehnsüchte offen ausleben zu dürfen.
Überforderung und alte Weltbilder
Da dieser Irrglaube sich auch innerhalb der BDSM-Community eingebürgert hat, scheuen viele eine feste BDSM-Beziehung, da sie ihnen „zu anstrengend“ ist. Dabei können Partner innerhalb einer hierarchischen Beziehung den selben Alltag haben wie ein „nicht-kinky“ Paar. Wie stellen sich viele den Alltag in einem BDSM-Haushalt vor? Ein Beispiel: Der devote Partner (m/w/d) steht auf, richtet seinem dominanten Partner (m/w/d) das Frühstück und weckt diesen dann mit einer frischen Tasse Kaffee im Bett. Der Devote speist das Frühstück selbst aus einem Napf am Boden. Danach macht der Devote sauber und der Dominante geht in die Arbeit. Der Devote putzt derweil die ganze Wohnung (oder das Haus) und macht die Einkäufe. Am Abend bekommt der Dominante ein frisch zubereitetes Abendessen und danach gehen beide in das Spielzimmer und haben eine spannende BDSM-Session.
Ein schöner Gedanke, doch wie sieht die Realität aus? Gemeinsames Frühstück, jeder geht in die Arbeit und am Abend gemeinsames Essen (ggf. Tiefkühlware) und danach ein Serienmarathon bei einem Streaminganbieter, bis man dann schließlich gemeinsam ins Bett geht. Und am Wochenende dann vielleicht eine BDSM-Session.
Wenn man das Wunschszenario einer BDSM-Beziehung anschaut, dann erkennt man darin ein sehr altes Muster bzw. ein altes Weltbild. Dieses geht zu der Zeit zurück, in welcher die Ehefrau als Hausfrau zuhause blieb und der Ehemann in die Arbeit ging und für die Familieneinkünfte sorgte. Bei steigenden Lebenshaltungskosten ist es für die meisten Paare unerlässlich, dass beide in die Arbeit gehen. Spätestens seit der Emanzipierung der Frau möchte diese auch gar nicht mehr nur zuhause bleiben und sich nur um Kinder/Küche/Kirche (die „drei K der Frau“, welche angeblich Kaiser Wilhelm II. prägte) kümmern.
Doch lieber stationär?
In welcher Form ihr eure Sexualität auslebt, ist einzig und allein euch selbst überlassen. Ob einzelne BDSM-Sessions mit dem selben oder wechselnden Spielpartnern oder doch lieber eine feste hierarchische Beziehung mit einem festen Partner oder gar Ehepartner. Traut euch eine Beziehung einzugehen, in der es auch „kinky“ zugehen darf. Und wenn ihr nicht jeden Tag eine BDSM-Session habt, dann ist das vollkommen in Ordnung. Habt genau dann Spaß, wenn ihr ihn beide auch haben möchtet. Egal ob einmal im Jahr, einmal im Monat, einmal in der Woche oder öfters… genießt es einfach!
Jede Art einer BDSM-Beziehung erfordert doch ein eher überdurchschnittliches Mass an Verständigung, Besprechung, Offenlegung der eigenen Voraussetzungen und Wünsche, der eigenen Person. Das ist doch an sich die beste Voraussetzung, um genau das auf alle Elemente der Beziehung anzuwenden. Es gibt für uns keine Norm, die wir erfüllen müssen – sondern nur unsere Bedürfnisse, für die wir einen Partner haben, dem wir das Gleiche schenken wollen.
Tatsächlich hat niemand Drittes irgendwas dazu zu sagen oder darüber zu urteilen. Und dass auch DS-Paare faul und bequem und müde sein können – natürlich! Dennoch bleibt es schön, das zu zweit zu sein – und immer darum zu wissen, wer man einander ist. Und da wirken nur schon kleinste Zeichen immer wieder erfrischend.
Danke für den schönen Text!