In der IT sind Begriffe wie „Whitelist“ und „Blacklist“ alltäglich. Sie bezeichnen eine Ansammlung von Dingen, die bewusst freigegeben oder bewusst gesperrt werden. Im übertragenen Sinne könnte man das auf Wunsch- und Tabuliste der BDSM-Welt übertragen.
Welche Tabus hast du?
Vor einer Session ist diese Frage durchaus legitim, denn wenn zwei Personen einvernehmlich miteinander spielen, dann sollten keine Grenzen überschritten werden. Und wenn wir ehrlich sind, dann können BDSM-Session durchaus Grenzerfahrungen sein. Doch warum befinden wir uns meist lieber an der oberen Belastungsgrenze und nicht an der unteren?
Das Streben nach Fortschritt
Um einen gewissen Kick zu erleben, sind wir immer auf der Suche nach einer neuen Spielart. Ein ähnliches Konsumverhalten finden wir auch in anderen Lebenslagen.
Exkurs: Denken wir an die Filmindustrie. Filme in den 80er und 90er Jahren waren anders als es heutige Filme sind. Damals haben diese Filme unsere Konsumlust gestillt, heute tun sie das nur noch bedingt. Dafür wären wir vermutlich vor 30 oder 40 Jahren mit dem Effektfeuerwerk heutiger Filme überfordert gewesen. Wir haben uns weiterentwickelt und die Filmindustrie hat sich auch weiterentwickelt.
Zurück in der BDSM-Welt: Sexuelle Praktiken, die vor 10 Jahren Neuland waren und uns in eine neue Art der sexuellen Befriedigung bereitet haben, können heute nicht mehr den gewünschten Effekt erzielen. Man sehnt sich nach etwas Neuem und möglicherweise Extremeren.
Abbau von Tabus
Im Laufe der Zeit und mit steigender Erfahrung können Tabus abgebaut werden und Tabulisten, bzw. „Blacklists“ wenn wir uns an unserer Beitragsüberschrift orientieren, werden kleiner. Es ist möglich, dass ehemalige Tabus nicht nur abgebaut wurden, sondern inzwischen eine Vorliebe darstellen.
Neugierde von Neulingen
Gerade Neueinsteiger tun sich beim Formulieren von Vorlieben schwer und so ist das Eingrenzen der Spielmöglichkeiten aufgrund der genannten Tabus für sie einfacher. Aber stehen wir wirklich auf alles? Mehrere unserer Spielpartner haben vor einer Session angegeben, dass sie auf ALLES stehen. Die meisten grenzen z.B. „Dirty“ (z.B. Natursekt), Blut und bleibende Schäden aus. Das ist auch meist einvernehmlich mit uns. Aber steht unser Spielpartner, der willig vor uns kniet, wirklich auf „alles“? Wir können die Frage mit einem klaren Nein beantworten! Meist wächst die Blacklist nach der ersten Session an, analog zur Whitelist (Liste der Vorlieben).
Aber warum behaupten sie dann, das sie auf alles stehen, wenn es nicht stimmt? Das kann mehrere Gründe haben. Auf der einen Seite wollen Neueinsteiger gegenüber „alten Hasen“ nicht als Spaßbremse dastehen und zeigen sich offen gegenüber ihnen unbekannten Praktiken. Auf der anderen Seite können Sie ihre Vorlieben aufgrund fehlender Erfahrung noch nicht formulieren. Man kann zwar prinzipiell erahnen, welche Themen man interessant findet, doch einen Fetisch wird man erst dafür entwickeln, wenn man es selbst erlebt hat und lieben gelernt hat.
Ein Beispiel: Einer unserer Gäste hatte auf Nachfrage angegeben, dass er einen Fetisch für Gummikleidung hat. Selbst hatte er bis zu unserem Treffen keine eigene Gummikleidung und er hatte bis dato auch noch nie Gummikleidung getragen. Wir konnten ihm eine entsprechende Leihgarderobe anbieten, was er sofort angenommen hatte. Das Ergebnis war ernüchternd. Er fand es zwar interessant, die Magie war aber irgendwie dahin.
Auf den Bildern im Internet fand er Personen in Gummi sehr ansprechend. Selbst Gummi zu tragen war für in dann weniger anziehend (kleiner Wortwitz). Von daher war seine Aussage, dass er einen Gummifetisch hat vielleicht etwas unglücklich formuliert. Besser wäre die Aussage „ich sehe mir gern Personen in Gummi an“ gewesen. So sind wir als Gastgeber und er selbst davon ausgegangen, dass das persönliche Tragen der Gummikleidung die gleichen Gefühle hervorruft wie der Anblick von Personen in Gummi.
Formulieren der eigenen Vorlieben
Kommen wir nun zum eigentlichen Kern der Geschichte. Wir sind der Meinung, dass das Formulieren der eigenen konkreten Vorlieben zielführender ist, als das bloße Ausgrenzen von Tabus. Lasst uns eine Whitelist erstellen! Dominante Spielpartner können bei einer Whitelist viel konkreter auf ihre devoten Spielpartner eingehen als bei einer Blacklist. Wenn sie nur die Tabus kennen und keine Vorlieben, dann orientieren sich dominante Personen vorrangig an ihren eigenen Vorlieben und schließen die Tabus ihrer devoten Gefährten aus.
Wir haben schon einmal die Frage gestellt, ob es ein schwerer Job ist, Top zu sein. In gewisser Weise schon, denn der Top hat zwei Ziele. Ein eigennütziges Ziel und eines für seinen Gegenüber. Er wird immer versuchen mit seinen Spielmöglichkeiten sich an der oberen Grenze zu befinden, also kurz vor den Tabus. Das ist vollkommen normal, denn er kennt keine Untergrenze.
Wir versuchen es mit einer Metapher: Euer Gast sagt, dass er Kuchen und Gebäck liebt, aber er keine Kirschen mag. Welchen Kuchen oder Gebäckteilchen würdet ihr ihm servieren? Vermutlich die Kuchen, die euch selbst schmecken. Wenn er euch hingegen mitteilt, dass er Apfelkuchen mag, dann würdet ihr ihm vermutlich auch einen Apfelkuchen servieren.
Ein anderes Beispiel: Um dein Ziel zu erreichen darfst du maximal 150 km/h fahren. Wie schnell fährst du? Ich würde vermutlich bei 150 km/h den Tempomat einschalten und die Karre laufen lassen.
Es könnte aber auch anders heißen: Um dein Ziel zu erreichen musst du mindestens 30 km/h fahren. Wie schnell würdet ihr fahren? 30, 40, 50, 100 km/h oder noch schneller?
Zurück zum Thema: Der Spielraum für einen dominanten Partner ist deswegen nicht eingeschränkt, denn er kann sich langsam vortasten und Dinge ausprobieren. Aber die Grundlage der Vorlieben (z.B. der Apfelkuchen) ist schon einmal da und auf dieses Fundament kann man bauen.
Welche Vorlieben habe ich?
Gerade für alte Hasen klingt die Frage banal. Sie sind meist in ihren Fetischen so gefestigt, dass sie diese nicht mehr aussprechen brauchen und sie einfach ausleben. Einige unserer Leser haben uns Beispiele ihrer persönlichen Vorlieben geschickt, doch auf Nachfrage wurden diese Vorlieben hinterfragt und im Anschluss konkretisiert:
- Vorher: Ich stehe auf Keuschheit.
Nachher: Ich lasse mich von meinem Partner gern während der Arbeitszeit in einem Keuschheitsgürtel verschließen. Nach Feierabend und am Wochenende habe ich Freigang. - Vorher: Ich stehe auf Leder.
Nachher: Ich trage gern eine Lederjeans und gehe damit auch in die Öffentlichkeit. Beim Geschlechtsverkehr trage ich zusätzlich gern noch Lederstiefel und eine Lederjacke. - Vorher: Ich stehe auf Windeln.
Nachher: Ich trage im Homeoffice und nachts gern Windeln und benutze diese gern für das „kleine Geschäft“. Das „große Geschäft“ kommt aber ins WC. - Vorher: Ich stehe auf Halsbänder.
Nachher: Zuhause trage ich gern ein abgeschlossenes Lederhalsband. Wenn ich ausgehe, dann trage ich gern eine abgeschlossene Halskette verdeckt unter der Kleidung. Im Fetischclub darf das Halsband oder die Kette auch sichtbar sein. - Vorher: Ich stehe auf Natursekt.
Nachher: Ich lasse mich gern von dominanten Spielpartnern anpinkeln, möchte den Urin aber weder im Mund haben, noch ihn trinken. Das Gefühl, „nasse Kleidung“ tragen zu müssen, erregt mich. - Vorher: Ich stehe auf Gummistiefel.
Nachher: Ich sehe mir gern maskuline Männer in Gummistiefeln an (vorrangig Bauarbeiter) und schnüffle und lecke gern an stark gebrauchten und verschwitzten Gummistiefeln.
Wir haben noch viele weitere Beispiele erhalten. Nach Rücksprache mit unseren Gesprächspartnern haben sie oft aufgrund unserer Fragen ihren eigenen Fetisch nochmal beleuchtet. Einfach etwas geil zu finden kann eine einfache Antwort sein. Aber was man genau daran geil findet, kann die Antwort in einen ganz anderen Kontext stellen.
Was bei der Auflistung auffallend ist, dass es immer mit „ich“ beginnt. Wir haben das auch bewusst so geschrieben, denn einige Tops fühlen sich nur noch als Dienstleister abgestempelt, wenn devote Spielpartner nur noch ihre Wunschliste präsentieren. „Ich, ich, ich…“ und was ist mit dem Menschen gegenüber?
Fazit
Es geht bei einer Whitelist oder Liste mit Vorlieben nicht darum, dass man hier Wünsche abarbeitet. Es sollte mehr eine Grundlage für ein gemeinsames Abenteuer sein. Was ihr aus diesem Fundament anstellt, ist euch überlassen. Das Leben ist nicht immer schwarz und weiß. Somit lassen sich nicht alle Dinge entweder auf eine Blacklist oder Whitelist packen. Es gibt noch viele Facetten dazwischen. Und genau diese können gemeinsam erforscht werden. Wir wünschen euch viel Spaß dabei!