Die Wirklichkeit kann teils stark von der Fantasie abweichen. So manche Wünsche sind dann in der Realität nicht mehr so wünschenswert. Doch wann ist der Punkt erreicht, dass man den Rückzug antritt und wie reagieren die Spielpartner darauf?
Es kommt nicht selten vor, dass kurz vor einer geplanten Session jemand die Notbremse zieht. Einige dominante Personen können das Lampenfieber bei Neueinsteigern im BDSM gut nachvollziehen. Andere hingegen sind von solchen Negativerfahrungen eher genervt. Wir haben mit mehreren devoten Neueinsteigern gesprochen und möchten euch die Beweggründe und die Achterbahnfahrt hinter mancher Entscheidung aus Sicht der jeweiligen devoten Person schildern.
Mangelndes Vertrauen
David: „Das Thema Keuschheit finde ich schon länger spannend und ich habe mir auch selbst verschiedene Cages zum Spielen und Testen zugelegt. Nachdem ich zwei von meinen Cages durchaus auch länger tragen kann, gab es einen konsequenten nächsten Schritt: Die Abgabe der Schlüssel an einen Keyholder. Hier fand sich auch schnell ein geeigneter Kandidat. Aber die Person war nicht passend. Ich habe die Abgabe der Schlüssel leider schnell bereut, eigentlich schon bei der Übergabe. Seine Erwartungshaltung war abweichend zu meiner und auch wenn ich anfangs sehr euphorisch war, war mangelndes Vertrauen der Hauptgrund, warum ich die Notbremse gezogen habe. Auch wenn mich die Abgabe der Schlüssel reizt, so lasse ich die Schlüssel vorerst (auch während des #Locktober) in Selbstverwaltung.“
Theorie und Praxis
Andi: „In meinen Träumen war die Vorstellung komplett bewegungslos fixiert zu werden immer sehr präsent und erregend. Als ich dann zum ersten Mal so fixiert wurde, war es aber anders als erwartet. Ich möchte nicht sagen, dass es schmerzhaft war, aber es war irgendwie ‚ungeil‘. Meine Spielpartnerin wollte mir aber dennoch meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen. Kaum war sie fertig mit der Fesselung, wollte ich aber wieder raus. Ich hatte zwar noch keine Panik, aber ich war nicht mehr weit weg davon. Seither lasse ich mich nur noch so fesseln, dass ich mich immer noch bewegen kann, aber mich nicht selbständig befreien kann. Bei einer Ganzkörperfixierung habe ich mich selbst überschätzt und es wird eine Fantasie bleiben, welche ich aber nicht weiter verfolge.“
BDSM ja, Sex nein!
Mia: „Als BDSM-liebende Frau tue ich mich schwer, einen passenden Spielpartner zu finden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine (männlichen) dominanten Spielpartner ihre sexuelle Befriedigung über die BDSM-Leidenschaft stellen. Während ich es genieße verschnürt zu werden und es auch über mehrere Stunden zu sein, so ist der sexuelle Höhepunkt für mich irrelevant. Wenn ein Mann dann versucht meine ausgelieferte Situation auszunutzen, dann breche ich die Session ab.
Das ist leider mehrmals so passiert. Die Enttäuschung meiner jeweiligen Spielpartner war dabei groß und der Abbruch war für sie teils nicht nachvollziehbar. Einer meinte dann nur ‚komm, du willst es doch auch‘, aber auch er hat ein klares NEIN akzeptiert.
Wenn ich gefesselt bin, dann möchte ich weder oral noch vaginal und schon gar nicht anal penetriert werden. Einmal eskalierte die Situation und es endete fast in einer Vergewaltigung. Glücklicherweise konnten wir die Session zuvor abbrechen. Am liebsten wäre mir, wenn mein dominanter Partner einen KG tragen würde. Wenn sein Schwanz verschlossen ist, dann kann er sich vollkommen meiner Verschnürung widmen. Es ist nicht einfach einen passenden Partner zu finden, der auf meine BDSM-Bedürfnisse eingeht, ohne dabei seinen Trieben nachzugeben.“
Selbstüberschätzung
Peter: „Die meisten Menschen denken, dass sie ihren Körper kennen und sich selbst gut einschätzen können. Ich dachte das auch, bis zu meiner Session. Wenn ich in eine Session eintauche, dann ist es eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Den Alltag schaffe ich sehr schnell auszublenden und es gibt dann nur noch den Moment. Vor meiner ersten Session hatte ich lange mit meinem Spielpartner (welcher jetzt übrigens auch mein fester Partner und Master ist) gesprochen. Als es dann zur Sache ging, lag ich schneller am Boden, als mir lieb war. Leider war das jetzt keine Metapher, sondern mir ist der Kreislauf zusammengebrochen und ich bin ohnmächtig geworden. Mein Master hatte mich aber so gut aufgefangen (physisch und mental), dass wir uns langsam an meine Grenzen herantasten konnten. Inzwischen weiß ich, dass manche Dinge, zum Beispiel Fesselpositionen im Stehen, bei mir nicht gehen. Und so gibt es manche Dinge in meinem Kopfkino, was ich so gern erleben würde, mein Körper mir aber die rote Karte zeigt. Und wenn ich mich nicht an diese Regeln halte, dann erinnert mich mein Master gern daran, was ich vertrage und was nicht. Das endete nicht nur einmal mit einem roten Hintern…“
Angst
Victor: „Wenn ich mich selbst befriedige, dann stelle ich mir häufig vor, dass ich gefesselt bin. Eine passende Partnerin habe ich dazu nicht und ich suche auch derzeit nicht nach ihr. Ehrlich gesagt habe ich sogar Angst davor. Was in meiner Fantasie schön und erregend ist, das fürchte ich in der Realität. Ich leide an Klaustrophobie, also der Angst vor engen Räumen. Wenn ich gefesselt werde, dann bekomme ich keine Luft mehr. Ich habe es einmal selbst probiert mit Handschellen, welche ich mir selbst angelegt hatte. Mein Herz raste wie verrückt und ich hab stark zitternd gerade noch die Handschellen ablegen können. Seither liegen sie ungenutzt in der Schublade. Bilder und Videos von anderen Personen, die komplett ausgeliefert sind, finde ich hingegen sehr erregend. Ich könnte aber selbst keine andere Person fesseln. Es ist irgendwie paradox und BDSM wird vermutlich nur ein Teil meines Kopfkinos bleiben. Vielleicht finde ich irgendwann die passende Partnerin, die mich hier (langsam) heranführt. Aber selbst davor habe ich in gewisser Weise Angst.“
Eure Meinung
Habt ihr schon einmal eine Session abgebrochen? Oder habt ihr gar noch vor einer Session im Zuge der Vorgespräche einen Termin abgesagt? Was waren eure Gründe dafür und habt ihr vielleicht ähnliche Dinge erlebt, wie in diesen Leserberichten? Schreibt uns gern eine Nachricht oder Kommentar. Wir freuen uns auf eure Zusendungen.
Als unerfahrener Neueinsteiger, der unbedingt die Erfahrung machen wollte und bereit war bzw. ist, habe ich mich an zwei Mastern gewendet. Wir haben das Ganze über mehrere Tagen bis Wochen geplant und dann haben sie mir morgens abgesagt. Ich war anfangs sehr enttäuscht, aber ich konnte mich am selben Tag noch fangen und dachte bzw. denke mir, dass sie eben was verpasst haben! Dafür war es umso schöner, dass eine Woche später eine spontane Session mit einer wirklich tollen Person auf einem Fetisch-Abend in einer Bar stattgefunden hat.
Eine Session kann natürlich auch von seitens des dominanten Spielpartners (oder der dominanten Spielpartner, falls es gleich mehrere sind) abgesagt werden. Aber umso schöner zu erfahren, dass du anderweitig tolle Menschen kennengelernt hast und deinen Spaß hattest.
Leider sind nur wenige Master/Doms bereit (oder haben die Fähigkeit), einen Sub ganz langsam an seine Fantasien und Limits heranzuführen. Wenn ich als Sub meine Fantasien preisgebe, habe ich oft Bedenken, ob der Master/Dom versteht / verstehen möchte, dass das zunächst Fantasien sind und bestimmte Fantasien eine behutsame Annäherung oder Training erfordern. Im Zweifel bin ich lieber übervorsichtig und halte bestimmte Fantasien zurück.
Das haben wir jetzt tatsächlich schon mehrmals gehört, dass manche (devote) Spielpartner bewusst bestimmte Fantasien oder Vorlieben zurückhalten, da sie befürchten während einer Session dann damit konfrontiert oder gar überfordert werden könnten.
Ein konkretes Beispiel: Einer unserer Leser hat uns berichtet, dass er sehr gern mal auf allen Vieren unterwegs ist und ein kleines Hundeherz in ihm schlägt. Dennoch hält er sich mit dieser Vorliebe zurück. Auf der einen Seite aufgrund einer möglichen Ablehnung, da manche Spielpartner mit Pet-Playern nichts anfangen können. Und auf der anderen Seite, weil er es nur ab und zu uns eher soft mag. Also mal für eine Stunde in die Rolle des Hundes zu schlüpfen mag er sehr, aber ein ganzes Wochenende so zu verbleiben, ist ihm zu viel. Und so verzichtet er lieber gänzlich auf die Erfahrung auf vier Pfoten, um sich selbst in gewisser Weise zu schützen.