Entführung - Copyright 2022, pxhere.com

Stockholm-Syndrom in Bezug auf BDSM

Was hat BDSM mit Schweden zu tun? Hier gibt es wie zu jedem anderen Land eigentlich keine direkten Bezüge. Und dennoch ist es in der Vergangenheit passiert, dass BDSM mit dem sogenannten „Stockholm-Syndrom“ in Verbindung gebracht wurde. Was hat es damit auf sich? Wir sind der Sache nachgegangen!

Was ist das „Stockholm-Syndrom“? Im Jahre 1973 gab es in einem schwedischen Kreditinstitut eine mehrtägige Geiselnahme. Die Geiseln empfanden nach ihrer Freilassung aber keinen Hass gegenüber ihrer Geiselnehmer, sie waren ihnen sogar dankbar für die Freilassung. Zudem baten die Geiseln im Anschluss an die Tat um Gnade für ihre Entführer und besuchten diese sogar im Gefängnis. Ein weltweites Phänomen, welches bis heute als „Stockholm-Syndrom“ bezeichnet wird.

Doch dieses Phänomen war kein Einzelfall und so hat man über die Welt verteilt einige Szenarien beobachten können, in denen sich Ähnliches abgespielt hat. Es sei nach Medienberichten sogar vorgekommen, dass gerade bei längerer Entführung die Opfer für ihre Entführer positive Gefühle oder gar Zuneigung empfunden haben. Wissenschaftlich gibt es leider wenige Erkenntnisse, so bleibt es weiterhin ein Phänomen.

Kürzlich haben wir einen sehr kritischen Artikel im Internet gefunden, welcher aber leider inzwischen gelöscht wurde. Der Autor des Artikels hat es in seinem persönlichen Mikrokosmos nicht für möglich gehalten, dass BDSM in den meisten Beziehungen und Sessions einvernehmlich ist. Für ihn war und ist BDSM etwas Unnatürliches, gegen die Natur und ausschließlich NICHT einvernehmlich. Warum sollte also eine Person sich freiwillig entführen, fesseln und gefangen halten lassen? Sexuelle Vorlieben und Fetische wurden vollkommen außer Acht gelassen und somit gab es nur eine „logische“ Konsequenz: Es muss am Stockholm-Syndrom liegen. Liegt der Autor hier gänzlich falsch oder ist vielleicht ein Fünkchen Wahrheit daran?

Einvernehmlich oder nicht?

Betrachten wir uns eine („klassische“) Entführung im Vergleich zu einer BDSM-Session. Bei einer Entführung wird eine Person gegen den Willen gefangen genommen und für einen bestimmten Zeitraum festgehalten.
Bei einer BDSM-Session kann sich ebenfalls ein Entführungs-Szenario abspielen, aber die entführte Person wünscht es, somit ist die BDSM-Session einvernehmlich. Beide Parteien (Entführer und entführte Person) haben entsprechende Vorabsprachen gemacht und sind sich über die Handlungen im Klaren.

Gefühle während einer Entführung

Bei einer klassischen Entführung empfinden die Opfer meist Furcht oder gar Hass. Im Extremfall kann ein Entführungsopfer danach an einem Trauma leiden. Nur in seltenen Fällen kann es dazu kommen, dass wie im Stockholm-Syndrom Dankbarkeit oder Sympathie von den Opfern empfunden wird.
Bei einer BDSM-Session fühlen die beteiligten Personen eher sexuelle Ekstase. Denn das ganze Spiel der Entführung und die Handlungen innerhalb der BDSM-Session dienen dem Vergnügen und meist auch der sexuellen Lustbefriedigung.

Ende mit Schrecken?

Im besten Fall findet eine „klassische“ Entführung niemals statt. Wenn man von Glück reden kann, dann kommen die Opfer physisch und psychisch unversehrt aus ihrer unfreiwilligen Gefangenschaft. Leider ist es auch schon vorgekommen, dass Opfer missbraucht oder gar getötet wurden. Missbrauchsopfer haben oft mit psychischen Problemen zu kämpfen. Ein wirkliches schweres Verbrechen, welches nicht ungestraft bleiben darf. Und dennoch gibt es Opfer, die ihren Tätern verzeihen oder gar Sympathie empfinden. Und eben diese „verschobene Realität“ oder Phänomen nennt man „Stockholm-Syndrom“.
Bei einer BDSM-Session geht es hingegen um ein gemeinsames vergnügtes Abenteuer. Nach einer Session geht es im Normalfall allen Beteiligten körperlich und geistig gut und der Grundstein für die Sehnsucht nach einer weiteren Session wird meist gelegt. Wer einmal die Freude einer einvernehmlichen BDSM-Session erlebt hat, der möchte es wieder erleben.

Fazit

Es ist aus unserer Sicht gänzlich falsch, die Themen BDSM und das Stockholm-Syndrom zu vermischen. Für eine außenstehende Person mag beides eine unnatürliche Perversion darstellen, doch möchten wir nochmals daran erinnern, dass wir ausschließlich einvernehmlichen BDSM praktizieren und die „Opfer“ die entsprechenden (meist sexuellen) Handlungen auch wünschen. Jetzt kommt das…

ABER:

Es gibt auch Formen von nicht einvernehmlichen BDSM. Manche dominanten Personen nötigen ihre Sexualpartner dazu BDSM zu praktizieren. Was ursprünglich als „normales“ Sexdate geplant ist, kann in einer nicht einvernehmlichen BDSM-Session enden. So schön BDSM auch sein kann, es gibt viele Personen auf der Welt, die damit nichts anfangen können oder gar Angst davor haben. Eine Person, die an Klaustrophobie leidet, im Zuge einer BDSM-Session in eine Holzkiste zu sperren kann dramatische Folgen für das psychische Wohl haben. Es könnte allerdings auch sein, dass eine Person, die in einer nicht-einvernehmlichen BDSM-Session Gefallen daran findet und die Handlungen nach und nach einvernehmlich werden. Doch das hat gänzlich nichts mit dem Stockholm-Syndrom zu tun!

Appell

Bitte achtet auf euch! Wir hoffen und wünschen jedem von euch, dass ihr niemals Opfer eines Gewaltverbrechens werdet. Ich denke dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Und was den BDSM betrifft: Wir bitten euch alle, egal ob dominant oder devot, ausschließlich einvernehmlichen BDSM zu praktizieren. Sollte ein Spielpartner Handlungen vornehmen wollen, welche ihr nicht wünscht, dann solltet ihr das offen kommunizieren. BDSM soll euer Leben bereichern, euch Freude bereiten und ihr sollt Spaß daran haben. Und wenn der Spaß ausbleibt, dann sagt es eurer Partnerin oder eurem Partner offen und lasst euch nicht auf einen Kompromiss ein! Passt aufeinander auf!

Veröffentlicht von

Dennis

Mentor und Berater im Bereich Fetisch und BDSM. Du möchtest dich über Fetisch und BDSM unterhalten? Kommt gern auf mich zu. Egal ob Einsteiger oder Profi, ich unterstütze dich gern!

7 Gedanken zu „Stockholm-Syndrom in Bezug auf BDSM“

  1. Wow. Steile These, dass BDSM und Stockholm-Syndrom das Gleiche sein sollen. Und ja, in den Köpfen von Leuten mit beschränktem Horizont und gewaltigem Stolz darauf mag das so sein. Aber in solchen Köppen sind viele Dinge gleich, die eben nicht gleich sind.

    Von daher lassen wir diese Gruppe mal beiseite und ich will versuchen, zu Deinen guten Gedanken noch was zu ergänzen – ich hoffe, was G’scheits.

    1. Einvernehmliches BDSM und Stockholm-Syndrom halte ich für sehr verschieden voneinander, denn die besondere Beziehung zwischen Täter und Opfer kann beim Stockholm-Syndrom frühestens während, meist aber erst nach der Tat eintreten. Das Opfer bei einem solchen Verbrechen ist ja arg- und wehrlos. Die beiden Spielpartner beim BDSM sind genau das nicht. In Grundzügen ist der Ablauf vorher vereinbart und das gewisse Vertrauensverhältnis zwischen den Partnern war zuvor da – sonst wäre es lebensgefährlich, sich in eine Session einzulassen. Die Tabus wurden zuvor vereinbart, bei einer Entführung, Verschleppung oder Geiselnahme gibt es für das Opfer keine Möglichkeit, Tabus zuvor auch nur zu kommunizieren, geschweige denn zu vereinbaren. Wie auch, bei einem Verbrechen?
    2. Dass eine Session ‚weiter‘ geht, Tabus also zuvor vereinbart wurden und nun plötzlich gebrochen werden, ja, da mag es eine Art von Stockholmreaktion geben. Trotzdem, so ganz passt es nicht, finde ich. Es wurde als Tabu vereinbart ‚kein Knebel!‘ nur mal so als Beispiel.
    Und nun ist Subbie gut gefesselt und irgendwas stört… ja, der Knebel fehlt. Verantwortungsbewusste Tops werden jetzt aber nicht einfach den zuvor ausgeschlossenen Knebel aufzwingen (wehren kann Subbie sich ja nicht) und damit das Safeword riskieren, sondern das tun, was immer gut ist: reden. Ja, der dominante Top verlässt hier für einen Moment die Rolle indem er sich die Erlaubnis holt, er, der doch hier der Mächtige sein soll. Kann die Stimmung vermiesen, stimmt. Aber es vermiest die Stimmung viel mehr, wenn die Session abgebrochen werden muss, weil Subbie das Safeword sagt oder in Panik gerät. Umgekehrt kann es natürlich sein, dass Subbie jetzt, sauber gefesselt, merkt, dass ein Knebel ganz hübsch wäre. Auch hier wieder – reden!
    Wenn einvernehmlich das Tabu nach hinten verschoben wurde und es Beiden gefiel, dann wird dabei vermutlich kein Stockholmgefühl entstehen, sondern Subbie wird nach der Session Danke sagen und Top vielleicht auch. Dann hat sich die Session dynamisch entwickelt und die BDSM-Beziehung sich evtl. intensiviert. Grenzen erfahren, Grenzen kennen lernen und sie gewollt überschreiten. Aber anders als bei Stockholm ist hier die ’normalerweise erwartete‘ Reaktion ja nicht Abscheu oder gar Hass dem Täter/Top gegenüber, sondern genau das – man probiert aus, spricht und entscheidet wie es weiter geht.
    Wenn nun einer aber nicht klar das NEIN kommunizierte? Wenn es also gegen dessen Willen weiter ging? Ist das dann noch einvernehmlich? Juristisch relativ eindeutig nein – aber hier könnte ich mir ein ähnliches Verhalten vorstellen, also dass der eigentlich nicht einverstandene Part den Anderen doch als positive Beziehung sieht. Sei es, weil er/sie nun endgültig weiß, dass Knebel nix sind oder sei es, dass er/sie dankbar ist weil es jetzt endlich mal probiert wurde und, siehe da, es gefällt ja doch.
    3. Dass sich Gefühle während der Session ändern kann natürlich vorkommen, auch in so nicht erwartete Richtungen. Zuvor war der Andere nur Spielpartner, kein Interesse an einer engeren Bindung. Doch jetzt, wie er/sie jetzt sich hilflos in den Fesseln windet und einen mit den Augen anhimmelt, jetzt plötzlich will der Top mehr. Oder umgekehrt… so mancher Top sieht aus der Froschperspektive plötzlich anders aus. Aber auch hier ist das ein möglicher Gefühlsumschwung, der durchaus im normalen Bereich menschlicher Gefühlswahrnehmung liegt.

  2. Hallo Dennis,
    schwieriges Thema, es hat mich auch schon früher beschäftigt. Warum möchte ich kurz skizzieren:
    Nimm eine 24/7 TPE Beziehung (gerne auch meine/unsere). Beide Partner haben vereinbart, dass diese Beziehung so ist, dass der dominante Part grundsätzlich „tun darf, was er/sie will“. In so einer Situation kann es sehr wohl zum Stockholm Syndrom kommen, gerade wenn der dominante Partner darauf Wert legt, die dritt und sozialen Kontakte zu reglementieren. Dies kann zu so starker Isolation und zugleich Hinwendung zum Unterdrücker des/der subs führen, das ein Stockholm Syndrom beim sub/slave ausgelöst werden kann (nicht muß). Und genau diese Situation kann ja sogar erwünscht sein. Diese absolute Bindung an die/den Dom, die vom sub/slave nicht mehr recht selber auflösbar erscheint.
    Ja, das ist schon recht extrem, aber wenn beide Parteien sich bei Vereinbarung Ihrer ungleichen Lebensgemeinschaft bewusst sind, wohin sie reisen: Alter Schwede, inniger kann man es dann nicht bekommen

    1. Hallo Sklave in Stahl,
      ein interessanter Gedankengang. Doch seid ihr beiden euch im Klaren darüber, dass eure Handlungen einvernehmlich sind.
      Es war ja nicht so, dass deine Partnerin dich gegen deinen Willen in Ketten gelegt hat und gesagt hat, dass du jetzt ihr Sklave bist.
      Und genau diese Einvernehmlichkeit ist sehr wichtig!

  3. „Es ist aus unserer Sicht gänzlich falsch, die Themen BDSM und das Stockholm-Syndrom zu vermischen.“
    Genau das. 👍
    Wenn das Außenstehende nicht verstehen, dann ist das halt so. Das gilt ja auch für Fußball oder Autos oder woran auch immer sonst manche Menschen Vergnügen finden.

    „ausschließlich einvernehmlichen BDSM praktizieren und die „Opfer“ die entsprechenden (meist sexuellen) Handlungen auch wünschen.“
    Auch hier: Genau das. 👍

    Dazu eine in der Praxis ganz spannende Konstellation:
    Es gibt ja Dinge, die „man“ aus konventioneller Sicht vielleicht nicht mögen solle, aber als Sub denn eben irgendwie doch, weil sie anturnen, – etwa Demütigung oder Fesselung – und das dann will.
    Dann gibt es aber auch Dinge, die man vielleicht so richtig nicht mag, die auch nicht anturnen. Aber Sub mag es zu etwas gezwungen zu werden, was Sub nicht mag. Also eine in Einvernehmlichkeit eingebettete Nicht-Einvernehmlichkeit. Das Gefühl kenne ich als Sub und Dom, und das ist dann sogar für mich als Nicht-Außenseiter manchmal ein echter Hirnverdreher. Zum Glück gibt auch hier ein Safeword/-code Sicherheit, dass diese Nicht-Einvernehmlichkeit irgendwie doch einvernehmlich ist. 😂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Entdecke mehr von Fesselblog

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen