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Misstrauen vs. Unbeschwertheit

Vertrauen ist bei Fesselspielen eine Grundvoraussetzung. Wenn man seinem Partner nicht vertraut, dann kann man sich in einer Session nicht fallen lassen. Doch bei vielen Personen steigt mit dem Alter und der Lebenserfahrung auch das Misstrauen. Ist das das Ende der Unbeschwertheit oder kann man es lernen sich bewusst auf neue Abenteuer einzulassen?

„Oh Gott, was ich früher alles gemacht habe, das wäre heute alles nicht mehr möglich!“ – Wer von euch hat diesen Satz schon einmal gehört oder gar selbst ausgesprochen? Wir haben diesen Satz schon ausgesprochen, doch was steckt dahinter? Die Welt verändert sich und wir verändern uns ebenso. Man wird älter, man wird reifer, man sammelt Lebenserfahrung und man wird vorsichtiger.

Zeitreise

Reisen wir zurück ins Jahr 1999. Der Film Matrix lief im Kino und die im vergangenen Jahrtausend schier unglaublichste Szene (neben der Science-Fiction Hauptgeschichte) war bereits am Anfang, als die Hauptfigur Neo vor dem PC schlief, welcher scheinbar dauerhaft online war. Unvorstellbar! Damals hatten wir einen (aus heutiger Sicht) sündhaft teuren Internetanschluss via analogen Modem oder ISDN. Bevor die Internetverbindung getrennt wurde, ging ein Ruf durchs Haus, wer noch nach E-Mails schauen möchte. Somit konnte man sich eine zusätzliche Einwahlgebühr an diesem Tag sparen. Doch dann kam die Revolution: DSL! Innerhalb weniger Jahre hatten Millionen von Haushalten in Deutschland einen High-Speed Internetanschluss. Plötzlich war das dauerhafte Online-Sein gar nicht mehr so futuristisch, denn immer mehr Haushalte kamen in den Genuss der Internet-Flatrate.

Anfang der 2000er Jahre florierte das Internet sehr schnell und aus dem Nichts waren neue Informations- und Kommunikationswege vorhanden. Zahlreiche Dating-Portale, Internetforen und Messenger fanden ihren Weg in die Privathaushalte. Wer erinnert sich noch an die Benachrichtigungstöne von Instant-Messaging-Dienstes „ICQ„? Damals gab es noch keine Smartphones und kein WhatsApp und eine SMS (eigentlich „SM“) kostete 39 Pfennig (später dann 20 Cent). Das Chatten über das Internet vom Computer aus war somit deutlich günstiger bzw. teils sogar gratis. Sollte man aus Versehen auf seinem alten Nokia-Handy auf die Weltkugel gedrückt haben, erwartete einem eine saftige Rechnung. Generell war das Internet in gefühlt allen Privathaushalten eine Revolution. Diese ganze Technik ermöglichte über den Tellerrand hinauszublicken. Man sah nicht nur die Nachbarn oder die gleichen Gesichter in der nächsten Fetischkneipe, sondern man lernte international Gleichgesinnte kennen. Und dann passierte es: Man ließ sich mit praktisch wildfremden Personen auf ein Date ein. Zwar war das früher über gedruckte Kontaktanzeigen in einschlägigen Magazinen auch möglich, doch die Geschwindigkeit des Internets sorgte bei der Wahl der Sexualpartner für eine Erleichterung.

Neue Möglichkeiten

Genau diese Spontanität war für die meisten Abenteuerlustigen bis dahin unbekannt. Wählte man sich früher seine Partner mit Bedacht, so öffnete man seinen digitalen Wunschkatalog im Internet, chattete kurz mit seinem Kandidaten und traf sich zu einem gemeinsamen Abenteuer. Was da alles hätte passieren können?

Das ging so lange gut, bis man mit einem Datingpartner auf die Nase fiel. Seien wir mal ehrlich: Jeder hatte irgendwann auf diese Art des Datings mindestens eine negative Erfahrung. Bei uns waren es sogar mehrere negative Erfahrungen und irgendwann hat man für die Wahl seiner Datingpartner wieder mehr Zeit investiert und das Auswahlverfahren verfeinert. Aus manchen potenziellen Dates wurde es dann doch nur ein Dauer-Chat oder man stellte die Kommunikation (möglichst höflich) ein. Das Misstrauen gegenüber den Mitmenschen innerhalb der Community wurde größer, da diese Personengruppe gefühlt rapide wuchs. Die meisten von ihnen waren schon immer da, doch plötzlich waren sie durch die Möglichkeiten des Internets sichtbar. Fluch und Segen?

Leserbericht

Ein Leser, Johannes (53) aus Erfurt, berichtet: „Ich bin schon über 30 Jahre in der BDSM-Welt unterwegs. In dieser Zeit konnte ich zahlreiche Erfahrungen sammeln. Von einzelnen BDSM-Sessions mit teils wildfremden Kerlen, über regelmäßige Datingpartner bis hin zu einem festen Master in einer dauerhaft hierarchischen Beziehung. Früher war ich etwas sorgenfreier und stürzte mich in jedes verfügbare Abenteuer. Doch zwei Dates haben mich geerdet. Es passierte das, was nicht passieren darf: Der Top hielt sich nicht an die zurvor vereinbarten Tabus und die Session wurde gefährlich. Aus Geilheit wurde Panik. Aus Vertrauen wurde Angst. Aus einem erotischen Abenteuer wurde ein traumatisches Erlebnis. Und kurze Zeit darauf passierte ein ähnlicher Vorfall bei einer weiteren Session. Zwei einschneidende Erlebnisse, die mich bis heute geprägt haben.

Lange habe ich auf Dates verzichtet und nur noch Selfbondage betrieben und meine Fetische für mich allein ausgelebt. Erst Jahre danach habe ich mich wieder auf eine Session eingelassen, doch so unbeschwert wie damals war es nicht mehr. Auch wenn ich dem Top vertraue und mich eigentlich fallen lassen kann, so ist da dieser kleine Funke im Hinterkopf. Der Gedanke, dass auch dieses Mal wieder etwas schief gehen könnte. Und selbst bei bekannten und vertrauten Tops verschwindet der Gedanke nicht mehr aus meinem Kopf. Manchmal ist er sogar so präsent, dass ich von meiner Seite aus Sessions abgebrochen habe, ohne dass ein konkreter Verdacht des Misstrauens bestand. Inzwischen bin ich über 50 Jahre und meine stürmischen Zeiten sind vorbei. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich heute lieber auf Nummer sicher gehe und die Abenteuer ins Unbekannte der Vergangenheit angehören.“

Das Ende der Unbeschwertheit?

Wir haben uns selbst gefragt, warum mit steigendem Alter und auch wachsender Erfahrung die Unbeschwertheit scheinbar ein Ende hat. Theoretisch lässt sich diese Frage auf den kompletten Alltag übertragen. Als Kind hatten wir ein klares Ziel: Raus aus der Schule, schnell die Hausaufgaben machen und dann zum Spielen mit Freunden. Heute wartet auf uns der Arbeitsalltag, der Haushalt und alle Sorgen, die ein Erwachsenendasein mit sich bringen. Im Briefkasten häufen sich die Rechnungen und nach Feierabend würde man sich am liebsten nur noch in eine Kiste setzen und einfach abtauchen.

Sicherer und nicht weniger intensiv

Wir haben uns mit vielen Liebhabern fesselnder Spiele unterhalten. Die Meinungen gingen fast alle in dieselbe Richtung. Der Kick des Unbekannten erlischt mit steigender Erfahrung. Die Zeiten von Sturm und Drang sind irgendwann vorbei. Die Erfahrungen in BDSM werden dennoch intensiver. Man (verzeiht uns den Ausdruck) „vögelt nicht mehr so wild in der Gegend herum“ wie früher, aber wenn man einen Spielpartner gefunden hat, dann können hier ungeahnte Tiefen innerhalb von BDSM erreicht werden. Wenn man jung ist, dann probiert man gern neue Dinge aus. Später kennt man diese Dinge und kann sich auf das fokussieren, was einem die meiste Freude bereitet. Und durch die steigende Erfahrung steigt auch die Sicherheit beim Ausüben diverser Praktiken.

Fokus auf einzelne Fetische und Praktiken

Wir möchten gar nicht leugnen, dass es unter den „älteren“ Personen nicht noch Neueinsteiger gibt. Die meisten Erwachsenen wissen aber zu einem bestimmten Zeitpunkt, was sie wollen und was ihnen wichtig ist. So probiert man manche Fetische aus und später fokussiert man sich auf seinen Hauptfetisch. Ähnlich verhält es sich mit BDSM-Praktiken. Wollte man früher das Lexikon der Sexpraktiken einmal von A bis Z durcharbeiten, legt man auch hier seine Schwerpunkte darauf, was einem die meiste Freude bereitet. Da viele Praktiken im Bereich BDSM häufig mit dem Einsatz diverser Spielsachen, Ausrüstung oder gar Werkzeuge verbunden ist, ist das Festlegen persönlicher Favoriten wichtig. Man kann nicht von allen Praktiken alle Spielsachen besitzen. Also theoretisch könnte man es schon, doch was bringt ein Lagerhaus voller Spielsachen, die in Summe nie wirklich zum Einsatz kommen. Jäger und Sammler wollen natürlich alles haben, doch man muss auch damit umgehen können. Weniger ist manchmal mehr.

Welche Erfahrung habt ihr gemacht? Könnt ihr auch nach vielen Sessions immer noch ein neues Abenteuer erleben, als wäre es das erste Mal? Oder sorgt die steigende Lebenserfahrung auch dafür, dass ihr langsam ruhiger werdet? Schreibt uns gern eure Meinung dazu, wir freuen uns auf eure Zuschriften!

Veröffentlicht von

Dennis

Mentor und Berater im Bereich Fetisch und BDSM. Du möchtest dich über Fetisch und BDSM unterhalten? Kommt gern auf mich zu. Egal ob Einsteiger oder Profi, ich unterstütze dich gern!

2 Gedanken zu „Misstrauen vs. Unbeschwertheit“

  1. Sehr interessant, mir geht es zunehmend auch so, und ich bin gar nicht so sicher, woran das liegt. Midlife-Crisis? Aber es in Eurem Artikel steht, ist sehr nachvollziehbar. Kann man dagegen was machen? Wie finden wir trotz einem mehr an Lebenserfahrung (was ich auch nicht missen möchte) wieder zu einer Unbeschwertheit zurück, die uns weitere schöne Erlebnisse bescheren kann?

    1. Vertrauen ist das Schlüsselwort. Wenn man einer Spielpartnerin oder einem Spielpartner vertrauen kann, dann wird es mit der Unbeschwertheit etwas einfacher.
      Und einer Person sollte man immer vertrauen: Sich selbst!

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