Ein Schnappschuss ist schnell geschossen. Die „Generation Selfie“ weiß das nur zu gut. Doch ein Foto ist nicht automatisch ein Kunstwerk, auch wenn es sich über das Internet schnell verbreiten mag. Man braucht einen Visionär, der mehr in dem sieht, was er ablichtet und dann auch noch den Mut hat es der Öffentlichkeit zu zeigen.
Wie werden heutzutage die meisten privaten Bilder geschossen? Der Blick schwenkt in Richtung Smartphone. Unabhängig von Smartphones haben Digitalkameras die Fotografie revolutioniert. Kinder des 21. Jahrtausends können sich eine Zeit, in der man im Urlaub einen Foto-Film vollgeschossen hatte und nicht sofort sehen konnte, ob die Bilder etwas geworden sind, nicht vorstellen. Man musste erst in ein Fotolabor gehen und die Bilder entwickeln lassen. Für die heutige Jugend finsterste Steinzeit.
Die Firma Polaroid war damals innovativ und wurde gerade durch ihre Sofortbildkamera international bekannt. Man musste also nicht Tage warten, bis man die entwickelten Bilder aus dem Labor holen konnte oder diese gar selbst in der Dunkelkammer entwickelt hat, sondern man hatte den Abzug quasi „sofort“. Es gab neben Sofortbildkameras natürlich auch andere Techniken.
Robert Mapplethorpe (1946 – 1989) war ein US-amerikanischer Fotograf und bildender Künstler. Er war ein Künstler, der neue Wege ging. Seine Fotografien wurden von Kritikern kontrovers behandelt und nicht selten zum Teil als stark obszön betitelt. Die erste Polaroid-Kamera, die Mapplethorpe von 1970 bis 1973 verwendete war das Model 360. Und er wusste mit der Kamera umzugehen. Man machte damals nicht tausende Bilder, suchte sich dann die drei besten Bilder raus und bearbeitete diese dann am Computer. Man brauchte den perfekten Moment. Model, Setting, Belichtung, es musste einfach alles passen. So waren die Vorarbeiten der Bilder damals das, was für viele die Nachbearbeitung am Computer heute ist.
Mapplethorpe erstellte eine nennenswerte Anzahl an Bildern aus der homosexuellen BDSM-Szene. Er selbst lebte offen seine eigene Homosexualität aus. Wenn man bedenkt, dass zur damaligen Zeit in vielen Ländern der Welt Homosexualität verboten war und unter Strafe stand, war das eine extrem mutige Entscheidung. Zumal er als Künstler dann im Fokus der Medien stand und mit seinen Kunstwerken die Menschen zu provozieren wusste.
Er hat nicht selten Sexualpartner auch für ein Fotoshooting begeistern können, dies bedeutet aber nicht, dass er mit jedem seiner Models ein Verhältnis hatte. Eins hatten die Models jedenfalls: Sein Vertrauen. In diesem Artikel möchten wir euch ein paar Bilder aus seiner BDSM-Sammlung zeigen, welche uns besonders beeindruckt haben. Die Bilder haben wir aus einem Bildband abgelichtet, somit können in den Bildern etwaige Spiegelungen vorkommen oder das Format der Bilder kann etwas verzerrt sein. Die Informationen zu diesem Bildband stehen am Ende des Artikels. Alle Bilder (auch das Vorschaubild oben) unterliegen dem Copyright der „The Robert Mapplethorpe Foundation, Inc.„.
Was hat man 1977 wohl gedacht, als dieses Bild auf einer Vernissage auftauchte? Selbst heute sind öffentliche Darstellungen von Fetischismus immer noch nicht überall massenkompatibel. Einige Werke des Fotografen sind deshalb eher für ein volljähriges Publikum gedacht.
Die Darstellung des männlichen Geschlechtsorgans ist auch 44 Jahre nach Veröffentlichung dieses Werkes immer noch ein Tabu. Mapplethorpe ging noch einen Schritt weiter und hat hier eine Selbstpenetration eines Mannes dargestellt. Einige Betrachter fühlen sich beim Anblick des Werkes unbehaglich oder gar schmerzerfüllt. Doch könnt ihr euch vielleicht vorstellen, dass der Mann auf dem Bild hier ein hohes Maß an sexueller Befriedigung erfährt? So stellt sich die Frage: Ist das eine pornografische Ablichtung oder ein Kunstwerk eines Visionärs? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen?
Die Lederszene ist eine der ältesten Fetisch-Communities der Welt. In Leder aus dem Haus zu gehen war damals und ist auch heute für einige Fetischfreunde noch eine Hürde. So gab es früher in der Lederszene viele Motorradfahrer und so konnte man seinen Lederfetisch in der Öffentlichkeit argumentieren. Die Vorliebe für fesselnde Spielarten ist dann nochmal eine weitere Hürde, was das Fetisch-Outing angeht.
Auch hier zeigt der Künstler ein Paar, welches seine Vorliebe für BDSM offen auslebt. Auch hier ist die Darstellung des männlichen Geschlechtsorgans ein zentraler Bestandteil des Werkes. Für viele schwule Fetischisten waren diese Werke ein großer Mutmacher und die Tatsache, dass sie mit ihren Vorlieben nicht allein sind. Nachahmer dieser darstellenden Kunst gab es aber erst deutlich später.
Da wir nicht den Anschein erwecken möchten, dass der Fotograf ausschließlich Hardcore-Bilder gemacht hat, hier noch ein Selbstportrait. Das Bild könnte euch bekannt vorkommen, da der Künstler Paul of Scotland dies auch gezeichnet hat.
Was fällt uns bei den Bildern im Allgemeinen auf? Die Werke sind oft im quadratischen Format, sie sind schwarz/weiß und sie zeigen die nackten Tatsachen. Wir können euch noch viele weitere Bilder zeigen, aber das würde den Rahmen des Beitrags sprengen. Es gibt auch zahlreiche Portraits, u.a. von prominenten Personen, und Fotografien von Blumen. Versetzt euch mal gedanklich vierzig Jahre zurück. Ihr seid auf einer Vernissage und schaut euch Werke eines begabten Fotografen an. Portrait, Akt, Stillleben, Blumen, die amerikanische Nationalflagge und auf einmal kommt ein Bild mit einem steifen Penis und daneben ein Bild eines Männerhinterns, in welchen gerade ein Dildo geschoben wird. Was würdet ihr davon halten? Skandal? Tabubruch?
Einigen Zuschauern ist durchaus der Atem kurz gestockt. Und dennoch möchte der Künstler mit seinen Werken auch etwas ausdrücken. Er möchte vielleicht auch provozieren. Im Endeffekt hat diese drastische Art der darstellenden Kunst vielleicht auch eine kleine Revolution angestiftet und die Welt ein bisschen offener gemacht. Vielleicht nicht innerhalb von Tagen oder Wochen, aber über die Jahrzehnte hin trauen sich auch heutige Künstler einfach mehr und das ist gut so.
Der Artikel stellt keine Biografie über den Künstler dar, das würde den Rahmen sprengen und darüber gibt es spannende Bücher und auch einen Spielfilm (der Film „Mapplethorpe“ aus dem Jahre 2018 ist auf DVD und via Streaming erhältlich), welchen wir durchaus empfehlen können. Uns war es wichtig an der Stelle in unserer Reihe „Kunst und Kultur“ darstellende Kunst im Bereich Fetisch und BDSM zu zeigen. Wir möchten den Künstler aber nicht darauf reduzieren.
Die Art dieser darstellenden Kunst war damals eine Revolution. Heute sind das Internet und die sozialen Netzwerke von Fetischbildern teils überschwemmt worden. E ist schwer die Spreu vom Weizen zu trennen. Masse ist nicht immer klasse. Es gibt ein paar wenige junge Künstler, die auf den Wegen wie einst Robert Mapplethorpe wandern. Und wir hoffen und wünschen uns sehr, dass sie dazu beitragen die Welt ein Stück weit weltoffener zu zeigen und zu gestalten.
Was denkt ihr darüber? Könntet ihr euch vorstellen eine Vernissage zu besuchen, auf welcher solche oder ähnliche Bilder ausgestellt werden? Oder kennt ihr gar andere Künstler, die Werke in dieser Art veröffentlicht haben? Vielleicht seid ihr selbst ein Künstler und möchtet auf eure Werke aufmerksam machen. Schreibt uns gern in den Kommentaren eure Meinungen. Wir freuen uns auf eure Zusendungen!
Die Bilder stammen aus folgendem Buch:
Buchtitel: Die Photographien 1969-1989
Künstler: Robert Mapplethorpe
Herausgeber: Paul Martineau und Britt Salvesen
Verlag: Schirmer/Mosel
ISBN: 978-3-8296-0747-6Copyright by „The Robert Mapplethorpe Foundation, Inc.“