Wer von euch ist schon einmal in Fetischkleidung auf die Straße gegangen? Ein mutiger Schritt, den sich viele Fetischfreunde nicht trauen. Doch wovor haben diese Personen Angst? Angst vor Ablehnung oder gar Gewalt durch Mitmenschen? Wie wäre es mit einem „Gearwalk“ im Schutz der Gruppe?
Viele Personen haben einen Fetisch. Das kann ein bestimmtes Kleidungsstück oder eine komplette Montur von Kopf bis Fuß sein. Eigentlich ist es naheliegend, dass man diese Freude des Tragens möglichst lange erleben mag. Doch traut man sich damit wirklich in die Öffentlichkeit? Viele würden jetzt sagen: Es kommt darauf an. Handelt es sich bei dem Fetischobjekt vielleicht um Wanderstiefel oder eine Lederhose, so würden die meisten Außenstehenden dieses Kleidungsstück gar nicht als Fetisch identifizieren. Ein komplett in Gummi gekleideter Mensch hingegen fällt da eher auf. Und damit wirklich in die Öffentlichkeit treten?
Im Radio haben wir kürzlich wieder das Lied „Wenn sie tanzt“ von Max Giesinger gehört. In dem Lied gibt es folgende Textzeilen:
Sie würde gerne mal auf ’n Date geh’n
In ihrem Lieblingskleid nicht nur vor dem Spiegel stehen Aber ob sie sich das traut Selbst wenn die Zeit es mal erlaubt
Diese Zeilen stimmen uns immer nachdenklich und auch melancholisch. Es ist hier die Rede von einer Frau, die ein Lieblingskleid hat, aber sich damit nicht raustraut. Sie trägt es gern, sieht sich damit im Spiegel an, aber der Schritt in die Öffentlichkeit ist eine Hürde. An der Stelle wollen wir nicht unterstellen, dass der Songschreiber hier an einen Fetisch gedacht hat, aber die emotionale Hürde mag für einen Fetischisten in seinen Lieblingskleidungsstücken sehr ähnlich sein.
Fakt ist, dass ein Fetischist beim Tragen seiner Fetischobjekte meist glücklicher ist als ohne sie. Warum dieses Glück und diese Freude nicht mit anderen in der Öffentlichkeit teilen? Doch allein ist die Hürde größer als in einer Gruppe. „Im Schutz der Gruppe“, heißt es so schön. Und darin steckt viel Wahrheit.
Ich selbst erinnere mich zurück, als ich vor fast zwei Jahrzehnten dazu ermutigt wurde in der Öffentlichkeit ein abgeschlossenes Lederhalsband zu tragen. Ich bin gefühlt tausend Tode gestorben. Doch die Gesellschaft eines Freundes, der ebenfalls ein solches abgeschlossenes Halsband trug, machte die Situation für mich erträglicher und nach diesem Erlebnis sank bei mir innerlich die Hemmschwelle. Im Grunde genommen war das schon ein kleiner „Gearwalk“.
Doch was versteht man eigentlich unter einem „Gearwalk“? Man liest dieses Wort inzwischen immer häufiger, meist im Zusammenhang einer Fetisch-Veranstaltung. Unter „gear“ versteht man die Fetischkleidung und „walk“ bezeichnet den Spaziergang in der Öffentlichkeit. Ein solcher Gearwalk findet meist in einer Gruppe statt. Diese kann aus zwei bis unendlich vielen Personen bestehen. Je mehr Personen daran teilnehmen, desto häufiger sieht man auch Personen in normaler Alltagskleidung. Das liegt meist daran, dass auch Freunde von Fetischisten, die selbst keinen Fetisch haben, an solchen Events teilnehmen. Jeder ist willkommen und alle teilen ihre gemeinsame Freude an der gegenwärtigen Situation.
Im Oktober 2022 waren wir zu Gast beim Verein GearPoint in der Schweiz, die im Zuge eines Fetish Weekends einen Gearwalk veranstaltet haben. Es war ein schönes Erlebnis daran teilzunehmen und die farbenfrohen Personen zu treffen, die daran teilnehmen. Zudem war es sehr faszinierend die Passanten zu beobachten. Meist wurden die Augen hier sehr groß und den meisten hat es ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Die Offenheit der Mitmenschen war deutlich zu spüren, gerade auch bei Personen, hinter denen man es gar nicht vermutet hätte. Eine betagtere Dame verabschiedete sich zum Beispiel bei einer Schwester der Perpetuellen Indulgenz mit den Worten „Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und wenn ich das sagen darf: Sie sehen fantastisch aus!“
Solche Komplimente gehen natürlich runter wie Öl. Aber jede Medaille hat zwei Seiten und so gab es auch Ablehnung. Bei einem Gruppenbild, bei welchem ich hinter der Kamera war, standen plötzlich zwei Herren hinter mir und der eine kommentierte die Situation mit den Worten: „Was ist das denn hier für eine kranke Scheiße„. Ein aufklärendes Gespräch wurde von mir umgehend angeboten, jedoch verachtend abgelehnt und schon war die Person auch verschwunden.
Man muss immer damit rechnen, dass das eigene Tun und Handeln gerade im Bereich Fetisch in der Öffentlichkeit nicht immer auf Gegenliebe stößt. Es kommt auch immer darauf an, wie man sich in der Öffentlichkeit verhält. Lebt man seinen Fetisch für sich aus ist das eine Seite, auf der anderen Seite kann man in der Öffentlichkeit auch bewusst auf Fremde zugehen und diesen seinen Fetisch aufdrängen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die meisten Mitmenschen nur verwundert schauen, weil sie in ihren Alltagsgedanken einfach nicht mit solchen Gegebenheiten rechnen. Man kommt aus der Arbeit, geht noch schnell zum Einkaufen und plötzlich laufen maskierte und teils geschminkte Personen in Fetischkleidung einem vor der Nase herum. Dieser Passant wird im Anschluss zuhause etwas zu erzählen haben.
Da es sich bei unserem Gearwalk in Basel um eine offizielle Veranstaltung gehandelt hat, wurde diese auch angemeldet. Gerade im Zoo, der auch gern von Familien mit Kindern besucht wird, war der Gearwalk kein Problem. Fetischkleidung ist kein Problem, solange keine Unzucht getrieben wird. Unzüchtig waren wir nicht, auch wenn wir ein paar Spaßvögel dabei hatten, die sehr genau wissen, wie sie sich ins Rampenlicht stellen. Und das Resultat: Ein Riesenspaß für die Teilnehmer und viele grinsende Gesichter, die uns beobachtet haben.
Wir danken GearPoint für das Veranstalten des Gearwalks und den schönen gemeinsamen Erinnerungen, auch abseits der Kamera. In einem weiteren Beitrag erfahrt ihr mehr über das GearPoint Fetish Weekend 2022.
Ein sehr guter Artikel. Auch ich trage in meiner Freizeit häufig Fetischkleidung (meist Warnschutz), welche die meisten nicht als solche erkennen.
Im Sommer trug ich das erste Mal einen ganzen Tag lang in der Öffentlichkeit eine meiner Latexhosen. Ich muss gestehen, dass ich mich ohne den Freund, der mich begleitete, das wahrscheinlich nicht getraut hätte. Mit einer moralischen Unterstützung oder in einer Gruppe Gleichgesinnter fällt es wirklich wesentlich leichter. Und es macht viel mehr Spaß.
Vielen Dank Lars!
Wir hoffen sehr, dass du auch in Zukunft deinen Fetisch offen zeigst. Und ja, mit Gleichgesinnten und Freunden ist es durchaus leichter…
Danke für den interessanten Bericht.
Ich bin bei dem Thema so etwas hin und hergerissen. Auf der einen Seite finde ich so einen Gearwalk ganz interessant, freue mich für die Teilnehmer. Mein Motto: Hauptsache es macht Spaß. Ich selbst stehe eher so auf Gummi und da besonders auf Schutzanzüge wie dem Zodiak. Bei 2 oder 3 Gelegenheiten habe ich das auch in der Öffentlichkeit getragen. Zuletzt bin ich im Zodiak mit Splitterschutzweste in einem Technoclub tanzen gewesen (kleinen Bericht dazu gibt es im Schutzanzugforum) .
Jetzt das Aber:
Angenommen Fetischkleidung aller Art wäre überall 100 % akzeptiert und alltäglich. Würde nicht zumindest einem Teil der Fetischgemeinde das leicht Verruchte, Abgründige und auch der Nervenkitzel beim Tragen fehlen ?
Mir persönlich schon. Darum bin ich da eher etwas sparsamer mit dem Nutzen solcher Gelegenheiten.
Dennoch viel Spaß und Freude euch !
Gruenmann
Hallo Gruenmann,
herzlichen Dank für deine Eindrücke. Es ist in der Tat ein gewisser Nervenkitzel in der Öffentlichkeit in Fetischkleidung aufzutauchen. Doch warum ist das so? Für viele ist es die Tatsache, dass sie in dem Moment nicht der Norm entsprechen. Sie heben sich optisch von der Menge ab und genießen das.
Doch warum trägt man denn Fetischkleidung überhaupt? Es erregt die Träger. Man trägt Leder, Gummi oder in deinem Fall einen Schutzanzug, weil man selbst daran Freude hat und vielleicht sogar sexuelle Erregung spürt. Es ist gut möglich, dass Außenstehende genau diesen Aspekt der sexuellen Erregung in den Fokus rücken und deshalb ist das abnorme Verhalten Fetischkleidung in der Öffentlichkeit zu tragen wie Sex in der Öffentlichkeit. Und weil Sex etwas sehr Intimes ist, sorgt es für Unverständnis solche Intimitäten mit wildfremden Personen in der Öffentlichkeit zu teilen.
Drehen wir den Spieß um: Fetischkleidung ist zu 100 % in der Gesellschaft angekommen und akzeptiert. Ist man dann noch besonders? Sticht man dann noch aus der Menge hervor? Eigentlich nicht, denn es ist ja nicht mehr abnorm, sondern alltagstauglich. Aber warum sollte die eigene Freude darunter leiden, wenn man das problemlos in der Öffentlichkeit tragen kann.
Da stellt sich die Frage bei einem Gearwalk: Ist es die Freude Fetischkleidung in der Öffentlichkeit zu tragen und mit seinen Freunden Spaß zu haben oder ist es eher der Kick öffentlich sichtbar nicht der (optischen) Norm zu entsprechen?
Und in Zodiak und Splitterschutzweste in einem Technoclub zu sein ist doch wunderbar. Warum also nicht auch so in den Supermarkt gehen? Es ist ja „nur“ Kleidung. Oder ist es mehr? Vielleicht sogar die bewusste (dosierte) Provokation der Mitmenschen?
Hallo
ich bin ein Latex-Feti. Von BDSM bis strassentauglich. Meine Erfahrungen: Latex in strassentauglichen Kleider-Schnitten fällt überhaupt nicht auf. Ich habe festgestellt, dass NICHT das Material sondern der Schnitt die Aufmerksamkeit der übrigen Passanten findet. Jeder würde doch auffallen, wenn er mit einem Anzug der Geräteturner ( enganliegend ) sich in der Öffentlichkeit bewegt. ??
Also habt Mut zum Testen !
Ich genieße gerne zuhause mein Lederoutfit bestehend aus Lederhemd, Lederhose und Uniformmütze, manchmal noch die Lederjacke dazu. Da kann ich das richtig genießen.
Gerne würde ich mich trauen das ganze auch draußen zu tragen, wahrscheinlich um mir zu zeigen, dass die Welt mich so akzeptiert und ich mich dann selbst besser akzeptieren kann. In der Schulzeit war ich Mobbingopfer und versuchte mich unter anderem durch möglichst schlabbrige Kleidung zu verstecken. Erst später habe ich es geschafft auch einmal passende oder gar enganliegende Lederkleidung zu tragen. Es schwebt immer die Angst mit, dass einer der Täter aus der Schulzeit plötzlich auftaucht und fiese Dinge sagt.
Inzwischen klappt es aber ganz gut. Ich bin regelmäßig mit schwarzer Lederhose im Büro, die Kollegen kennen mich so und da hat bisher niemand etwas gesagt. Privat fragte mich mal jemand, ob ich mit dem Motorrad da oder einfach nur so cool sei. Das hat mich schon gefreut. Manchmal trage ich die Lederhose auch zusammen mit der Lederjacke, das geht auch. An ganz mutigen Tagen habe ich auch eine knallrote Lederhose mit der schwarzen Lederjacke kombiniert. Das war schon ein „Hallo, hier bin ich!“
Manchmal würde ich aber gerne das „volle“ Outfit tragen mit der roten Lederkrawatte und der Uniformmütze. Mir scheint dieses Outfit allerdings nicht mehr irgendwie als reine Mode („Rocker“, „Motorradfahrer“) darstellbar zu sein, sondern das ist ganz klar Fetisch. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, wünsche ich mir damit einen Auftritt wie die Charaktere aus „Matrix“ zu haben.
Im Alltag scheint mir das einfach nicht angebracht zu sein. Und wahrscheinlich ist es vernünftig es nicht zu tun und danach das Gespräch unter allen Nachbarn zu sein. Aber irgendwie wäre ich gerne so selbstsicher, dass ich das einfach machen könnte.
Lieber Hendrik,
vielen Dank, dass du deine Gedanken und Erfahrungen mit uns teilst. Ich kann aus eigener Erfahrung sehr gut nachempfinden, wie es dir geht. Auch meine Schulzeit war geprägt von Mobbing und Ausgrenzung. Damals wusste ich selbst noch nicht so richtig, dass ich „anders“ bin, aber meine Mitschüler merkten es schnell und so wurde ich zur Zielscheibe. Irgendwann verblassen diese Erinnerungen und wenn man die Trampel von damals heute sieht, dann ist es fast schon eine Genuttuung zu sehen, dass sie sich nicht weiterentwickelt haben.
Man muss aber dazu sagen, dass mein persönliches Selbstbewusstsein erst richtig zu wachsen begann, als ich mir selbst eingestanden habe, wer ich bin. Freunde nahmen mich an der Hand und gingen mit mir raus in die Welt und zeigten mir, wie vielfältig die Menschen sind.
Meine ersten „Gehversuche“ in Fetischkleidung in der Öffentlichkeit waren in anderen Städten. Frei nach dem Motto „hier kennt mich eh keiner“. Doch irgendwann war es soweit, dass ich in voller Ledermontur vor die eigene Haustüre ging. Grund dafür war, dass wir ein paar Fotos in der Natur machen wollten. Dazu gab es zwei Möglichkeiten: Alles mitnehmen und sich in der Öffentlichkeit umziehen oder in Fetischkleidung aus dem Haus gehen. Ich habe mich dazu entschieden mich schon zuhause umzuziehen und so bin ich vor die Türe. Und wie es der Teufel will öffnete sich im Haus gegenüber die Haustüre und die Nachbarin sah mich mit sehr großen Augen an. An ihrem Tonfall merkte man, dass sie selbst nicht genau wusste, wie sie darauf reagieren sollte. Ein kleiner und belangloser Smalltalk und schon stieg ich ins Auto und fuhr los für mein Shooting in der Natur.
Am Zielort angekommen gab es dann die nächsten Schaulustigen, aber das war nichts mehr im Vergleich zur Nachbarin. Irgendwie war das Eis an diesem Tag gebrochen und ich hätte mit meinem Lederoutfit überall hingehen können. Ich entschied mich aber dagegen und war froh die Kleidung bei 30 Grad im Schatten dann wieder ausziehen zu können.
Irgendwann kamen es dann zum Versuch im Büro. Hier bin ich mit meinen Lederschaftstiefeln mehrfach rein. Nach dem zweiten oder dritten Mal mit Stiefeln im Büro kam ein vertrauter Kollege zu mir und meinte, dass sich andere Kollegen hinter meinem Rücken das Maul über mich zerreißen und dass die Stiefel „pervers“ seien. Ich antwortete, dass sie nur keinen Mut haben mit das offen ins Gesicht zu sagen und ich für meinen Teil nur normale Lederstiefel trage und die Perversion einzig und allein in deren Köpfen stattfindet.
Lass die Leute reden. Wenn du jeden Tag in Leder aus dem Haus gehst, dann kennen die Nachbarn dich einfach so. Da würden sie vermutlich darüber reden, wenn du in einer blauen Jeans aus dem Haus gehst. Aber ehrlich gesagt redet man ja selbst über andere. Das ist vollkommen normal.
Wir hoffen sehr, dass du den Mut findest, in voller Ledermontur aus dem Haus zu gehen, wann immer es dir danach ist. Wenn du heute keine Lust hast, dann eben nicht. Und wenn du morgen dein Leder anziehst und beschließt damit raus zum Einkaufen zu gehen, dann genieße es! Und wenn die Leute schauen und reden, dann lass sie. Vielleicht sind sie auf dein großartiges Outfit auch nur neidisch und würden sich selbst gern trauen so aus dem Haus zu gehen.
Sei stolz auf dich selbst und verstecke dich nicht!
Viele Grüße
Dennis