Viele Begriffe werden während eines fesselnden Abenteuers auf Englisch ausgesprochen, weil sie im Deutschen selten im Sprachgebrauch vorkommen und deshalb seltsam klingen können. Wie verhält es sich, wenn die Begriffe nicht nur in Deutsch, sondern im Dialekt ausgesprochen werden. Heimatgefühl oder Stimmungskiller?
Ich muss mich outen: Ich spreche Dialekt! Allerdings nur mit Menschen, die das ebenfalls tun. Das ist wie ein imaginärer Schalter, der umgelegt wird. Wenn ich mit Leuten aus dem Dorf spreche, dann spreche ich allgäuerisch/schwäbisch. Wenn ich in einem geschäftlichen Gespräch bin, dann spreche ich hochdeutsch. Als ich vor vielen Jahren von der Dorfschule in eine weiterführende Schule gekommen bin, wurde mir quasi der Dialekt abtrainiert. Meine Großmutter hatte mich damals sehr schnell auf den Boden der Tatsachen geholt: „Schwätz id so g’schwolla daher, schwätz g’scheit mit mir!“ Sie hatte es als Beleidigung empfunden, wenn ihr Enkel hochdeutsch und nicht wie gewohnt im heimischen Dialekt mit ihr gesprochen hat.
Ja nach Gesprächspartner passen wir unsere Sprache an. Das liegt oft auch daran, dass so manche Sprache möglicherweise von einem auswärtigen Gesprächspartner nicht verstanden wird. So spricht man mit Menschen über die Landkreis- oder Bundeslandgrenze hinaus eher hochdeutsch und mit internationalen Gesprächspartnern wechselt man vermutlich ins Englische.
So kann es passieren, dass im Laufe der Jahre und über die Generationen hinweg manche Worte im Dialekt verschwinden. Sie haben zwar ihre Daseinsberechtigung, aber da die jungen Leute die Worte nicht sprechen, wissen sie auch nicht, was sie eigentlich bedeuten. Das Grußwort „Servus“ kennen wohl in Deutschland sehr viele Menschen. Die Wortherkunft und die allgemeine Bedeutung kennen allerdings die wenigsten, selbst in Bayern.
Servus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet der Sklave oder der Knecht. So kann man das Grußwort Servus mit „ich bin dein Sklave“ oder sinngemäß „zu Diensten“ übersetzen. Diese Grußform gilt bis heute als höflich und freundschaftlich. Die Jugend hat sich in den letzten Jahrzehnten in eine lese-, schreib und sprechfaule Richtung entwickelt. So wurde als „Servus“ irgendwann ein „Sers“ und aus diesem irgendwann nur noch eine Art Zischlaut „Ses„. Na gut, wir schweifen ab, zurück zum generellen Thema Dialekt.
Wie würdet ihr in einer BDSM-Session darauf reagieren, wenn ein dominanter Spielpartner euch auf Bayrisch sagt „auf d‘ Knie und hoit da Goschn„? „Ei verbibbsch“ (sächsisch) könnte dann wohl mal fallen, wenn etwas schief läuft. Ein plattdeutscher Top könnte mit „mak de Klüsen tau“ meinen, dass der devote Spielpartner die Augen schließen soll. Deutschland, ein Schlaraffenland der Dialekte. Und dennoch verschwinden nach und nach die Dialekte, erst vom Schulhof und später auch aus dem Büro. Für viele Liebhaber der fesselnden Art ist der Weg in eine BDSM-Session verbunden mit dem Eintauchen in eine Rolle. So verändert sich bei dieser Transformation nicht nur das Aussehen und das Benehmen, sondern auch die Sprache. Aus der schwäbisch sprechenden Bankkauffrau in Business Casual wird nach Feierabend die hochdeutsch sprechende Domina in Lack und Leder.
Bianca (28) aus Augsburg hat es uns wie folgt erklärt: „Zuhause wurde schon immer augsburgerisch gesprochen. Im Gymnasium wurde mir dieser Dialekt von den Lehrern abtrainiert. Beruflich arbeite ich bei einer Behörde und da wird Hochdeutsch oder Englisch gesprochen. Augsburgerisch wird in der Familie und unter Freunden gesprochen. Wenn ich meinen Sklaven an die Leine nehme, dann spreche ich wieder Hochdeutsch. Für ihn ist somit akustisch sofort erkennbar, ob wir im Dialekt und somit auf Augenhöhe oder Hochdeutsch und somit hierarchisch miteinander kommunizieren. Es ist bei mir eine Kopfsache. Ich möchte mit meinem Sklaven einfach in einer anderen Sprache sprechen als mit meinen Eltern oder Großeltern.“
Ein männlicher Top aus München hat uns berichtet, dass er während einer Session seine regionalen Wurzeln nicht versteckt und auch hier im Dialekt spricht. „I bin voa, während und noch oana Session a Top. I vastäi mi fia meine Sklavn ned.“ So ist unser Bekannter vor, während und nach einer Session ein Top und verstellt sich für seine Sklaven nicht. Auf Nachfrage teilte er uns mit, dass BDSM eine Lebenseinstellung für ihn ist und er nicht bewusst in diese Rolle eintauchen muss, sondern sich in dieser dauerhaft befindet. Für einige Personen sind Fesselspiele eine Freizeitgestaltung und ein Mittel zur Lustbefriedigung und nicht zwanghaft ein beherrschendes Element im Alltag. Man kann niemanden dazu zwingen dies auch im Alltag auszuleben, außer diese Person möchte dazu gezwungen werden.
Je nachdem, aus welchem Teil Deutschlands man kommt, erscheinen auswärtige Dialekte ungewöhnlich. Ein Moin in Bayern kann ähnlich unbeliebt sein wie ein Servus oder „Grüß Gott“ in Norddeutschland. Leider erhalten Personen, welche Dialekt sprechen, gern den Stempel des Dorftrottels. Der einfache Mensch spricht Dialekt, der gebildete Mensch spricht Hochdeutsch. Wohl eher der eingebildete Mensch… *hust*
Dialekt zu sprechen ist kein Zeichen eines Kleingeists. Es ist ein Symbol von Heimatverbundenheit.
Sowohl Bianca aus Augsburg als auch unser Bekannter aus München haben uns einen wichtigen Zusatz mit auf den Weg gegeben: Der Großteil der Session geschieht nonverbal. So muss man erfahrenen Sklaven nicht verbal mittteilen, dass sie auf die Knie gehen sollen, es reicht auch ein Fingerzeig auf den Boden.
Nun stellen wir euch die Frage: Sprecht ihr einen Dialekt und sprecht ihr in diesem auch während einer Bondage-Session? Wie regieren eure Spielpartner darauf, wenn ihr im Dialekt zu ihnen sprecht. Schreibt uns das gern in die Kommentare oder in einer Nachricht, wir freuen uns auf eure Zusendungen.
P.S.: Es war gar nicht so einfach für das Thema Dialekt ein passendes Vorschaubild zu finden. Zunächst hatten wir uns ein paar Männer in bayrischer Tracht ausgesucht, doch dann haben wir uns für ein Bild entschieden, welches eine uns bekannte „Dame“ zeigt, die in ein Hotel im Allgäu eincheckt. Hier wurde viel Dialekt gesprochen und es sind schon Welten aufeinandergetroffen, da man solche „Damen“ eher in Großstädten und nicht auf dem Land im Allgäu erwartet. Hier wurden definitiv Horizonte erweitert. Und auch wir laden euch ein, dass ihr euren Horizont erweitert, wenn ihr jemanden trefft, der anders aussieht oder anders spricht, zum Beispiel im Dialekt.
Ich liebe Dialekt!
Höre ihn einfach gerne, weil es Leute von der Masse heraushebt und ein Stück weit einzigartiger macht.
Auf eine Session bezogen denke ich das das jeder so handhaben soll wie desjenige es möchte.
Ich selbst bin der Meinung, wenn jemand normal auch sehr im Dialekt spricht würde es in einer Session befremdlich auf mich wirken wenn auf einmal Hochdeutsch gesprochen wird.
Da meine Spielpartnerschaften eher Freundschaften und keine ONS sind, kennt und schätzt man den Menschen an sich und reduziert nicht auf Dinge wie Dialekt oder kein Dialekt.
Danke Vera, du sprichst uns aus der Seele.
Auch wir sind der Meinung, dass sich niemand verstellen sollte, vor allem nicht bei einer Session.
Wir finden es dennoch interessant, warum Menschen in bestimmten Situationen dann doch „anders sprechen“ und z.B. ihren Dialekt ablegen oder gar in einer anderen Sprache (z.B. Englisch) sprechen.
Ich spreche ausschließlich mit Norddeutschen Hochdeutsch, einfach aus dem Grund, dass ich Hochdeutsch anstrengend finde. Bayrisch ist eine maulfaule Sprache voller geschnittener Kurven und Abkürzungen (Beispiel: »gib mir ein Bier« → »gimmara Bier«), ähnlich wie Englisch (»were not« → »weren’t« → »wern’t«). Im Hochdeutschen muss man dann ungewohnt präzise aussprechen und läuft Gefahr, wie ein schlechter Schauspieler zu klingen (Grüße an Hrn. Aiwanger).
Aber wenn man mal weg vom Bairischen geht: Hamburger klingen ganz anders als Berliner, Berliner ganz anders als Sachsen und die wieder anders als Hessen. Ich liebe das. Dialekte sind Vielfalt. Eigentlich müssten die total angesagt sein, wo doch seit Jahren für Deivörsitäääh getrommelt wird (vor allem im Juni), stattdessen ist Platt so gut wie tot, Bayrisch auch schon auf der roten Liste, und wer mal mit der U-Bahn durch München fährt, hört da vor allem akzentfreies Hochdeutsch, am besten noch verwürzt mit ordentlich Englisch. Bah.
Egal, ansonsten bin ich da voll bei deiner Großmutter. In Bayern red‘ ma Bayrisch, ich bin gern bereit da Hochdeutsch reinzumischen, aber halt nur anteilig. Ick würd ooch in Berlin von niemandem verlangen, det Berlinern einzustellen 😉
Gruß